INNSIDE Innterview: Carsten Gerhard

EW geben sich nicht geschlagen

8.6.2020


In diesen einschränkenden Coronazeiten hat es die Kultur und vor allen die Eventkultur wohl mit am

schwersten getroffen. Alle großen Sommerevents mussten abgesagt werden. Viele wollen dennoch nicht

aufgeben und arbeiten an alternativen Plänen. Dazu gehören die Europäischen Wochen, die ja erst im letzten

Jahr aus einer tiefen, allerdings hausgemachten Krise herauskamen und nun schon wieder im Krisenmodus

agieren müssen Wir haben beim Festivalchef Dr. Carsten Gerhard einmal nachgefragt wie es so geht

und was sie für dieses Jahr noch planen.


Die Fragen stellte Gerd Jakobi


Die Europäischen Wochen geben sich optimistisch und wollen im Herbst eine 20er Version der Festspiele durchführen. Wie soll das aussehen?
Es ist uns gelungen, einen Ersatzspielplan mit mehr als 20 Veranstaltungen aufzustellen, der jede Menge Höhepunkte aus dem für Juni und Juli geplanten Programm enthält – darunter das Konzert von Ulrich Tukur und den Rhythmusboys, die Aufführung der Beethoven-Pastorale in der Studienkirche, das Konzert der Akademie für Alte Musik Berlin und viele weitere. Natürlich werden die Festspiele ein wenig anders aussehen, weil wir Infektionsschutzmaßnahmen umsetzen – aus heutiger Sicht sind das zum Beispiel deutlich mehr Abstand zwischen den Sitzplätzen, kontaktlose Ticketkontrollen, Mund- und Nasenschutz außerhalb des Sitzplatzes und und und…

OPTIMISTISCH DASS ES STATTFINDEN KANN

Von welchen Bedingungen hängt der Plan ab und wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?
Es gibt zwei Vorbedingungen, von denen unsere Planungen abhängig sind. Einerseits, dass die allgemeine Entwicklung der Pandemie und die behördlichen Vorgaben die Festspiele erlauben. Andererseits, dass der Zuschuss der öffentlichen Gelder wie geplant stattfindet. Wir haben einen sehr soliden neuen Haushalt aufgestellt, angepasst an die Corona-Bedingungen, und sind im Moment optimistisch, dass die Festspiele in dieser Form stattfinden können.

VIELE HÖHEPUNKT IM HERBST

Was soll denn alles stattfinden? Welche Künstler haben bereits zugesagt?
Wir sind sehr glücklich, dass wir auch im Herbst viele Höhepunkte anbieten können. Zum Beispiel ist Corinna Harfouch für einen literarisch-musikalischen Abend mit Hölderlin und Beethoven zu Gast in Pocking. Die Geigerin Midori Seiler präsentiert Werke von Mozart, Beethoven und Schubert. Auch Klezmer-Altmeister Giora Feidmann, Monika Drasch, das Quartett ValleSantaCorde und die A-Capella-Meister von Slixs werden bei den Europäischen Wochen 2020 auftreten.

Ihr habt ein tolles Projekt mit der Onlinelesung des Nibelungenliedes aufgelegt. Wie läuft das ab und wie ist die Resonanz beim Publikum?
Die Idee von „Das Passau-Projekt“ ist es, mit Webvideos von Freiwilligen das komplette Nibelungenlied zusammenzustellen – rund 2500 Strophen, 10.000 Verse. Das passt ja zur Corona-Zeit, wo wir alle viel vor den Webcams zuhause sitzen. Tatsächlich haben uns schon einige Dutzend Videos erreicht, die ersten 1000 Strophen haben wir bereits zusammen. Wer mitmachen möchte, findet alle relevanten Informationen auf unserer Homepage.

Viele Veranstalter und vor allem Künstler haben Online-Programme aufgelegt, was halten Sie von diesen Formaten und werden diese in Zukunft Bestand haben?
Toll, wie kreativ die Kunst- und Kulturszene auf den plötzlichen Shutdown reagiert hat. Ich habe viele interessante Konzert- und Gesprächsformate erlebt, in allen Kunstbereichen, sei es Musik, Theater oder Kunst. Auch wir haben digitale Angebote wie „Das Passau-Projekt“ oder sprechen in den EW-Couchtalks mit Künstlerinnen und Künstlern über ihre Erlebnisse in der Corona-Zeit. Ich gehe davon aus, dass einige dieser Formate, nicht nur bei uns, auch in Zukunft Bestand haben. Jedoch ist der digitale Raum kein Ersatz für den analogen, das ist auch klar geworden. Es kann immer nur ein zusätzliches Angebot sein.

Die EW sind wie alle Festivals schwer betroffen von dieser Situation, was macht das mit Ihnen und Ihrem Team?
Wir sind ganz früh, schon vor dem offiziellen Lockdown, ins Homeoffice gegangen. Das funktioniert sehr gut. Die Arbeit am neuen Spielplan findet derzeit vor allem digital statt, aber natürlich nicht weniger intensiv. Wir sind alle guten Mutes, trotz Verlegung und Ungewissheiten, was Corona noch so bringen wird.

NEUES FORMAT „KULTUR FÜR ALLE“

Unter dem Stichwort „Kultur für alle“ haben die EW neue Formate entwickelt, die Kultur zu den Menschen bringen soll – Was heißt das genau?
Wir versuchen dort zu sein, wo die Menschen sind. Beispielsweise reaktivieren wir den Thing-Platz nahe der Veste Oberhaus mit einem Konzert des Ensembles Goldmund. Auch ein SoundBLaster wird an ausgewählten Tagen im Festspielgebiet unterwegs sein – ein LKW auf dessen Ladefläche ein Ensemble Livemusik darbieten wird.

Natürlich stellen wir wie immer unsere Flussfrage: Gibt es einen Fluss in Ihrem Leben, mit dem Sie sich besonders identifizieren können?
Ich mag sehr die Stimmung am Inn, vor allem früh am Morgen, wenn der Nebel darüber schwebt. Das ist meine bevorzugte Jogging-Strecke. In diesem Jahr bekommt er auch für die EW eine besondere Bedeutung: Wir machen die Innpromenade zum öffentlichen Ausstellungsraum. Unter dem Titel „Tropic Ice“ zeigen wir dort großformatige Werke der Fotografin Barbara Dombrowski, die Menschen an extremen Orten der Welt porträtiert hat, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.