INNSIDE INNTERVIEW | Prof. Dr. Werner Gamerith

400 Jahre Akademische Tradition - Eine junge, alte Universität feiert sich!

PASSAU | 2. JUNI 2022

Die Universität Passau ist die jüngste Bayerische Universität und gleichzeitig reicht ihre Tradition weit in die Vergangenheit zurück und sie zählt weltweit zu den besten jungen Universitäten. In diesem Spannungsfeld feiert die junge, alte Uni Passau nun 400 Jahre akademische Tradition mit einem große Veranstaltungsreigen bis in den November hinein. Wir hatten Gelegenheit mit dem verantwortlichen Organisator dieser Reihe, dem Chef des Geographielehrstuhls Prof. Dr. Werner Gamerith über diese bemerkenswerte Geschichte zu sprechen.

Die Fragen stellte Gerd Jakobi | Fotos: Claudia Saller
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Herr Professor Gamerith, 400 Jahre akademische Lehre in Passau! Was bedeutet das für eine Stadt wie Passau und ihre Stellung in der Bildungslandschaft?
400 Jahre akademische Tradition geben den 44 Jahren der Universität Passau eine ganz besondere historische Verankerung, die auch mit Verantwortung für den Standort Passau verbunden sind. Sie untermauern, dass Passau auch in früheren Tagen und Epochen ein wichtiges Zentrum europäischer Gelehrsamkeit war, an dem Dialog und Austausch praktiziert wurden. Auf dieser Tradition aufzusetzen und sie nach den Erfordernissen und Gegebenheiten der heutigen Zeit fortzuführen, ist für die Universität Passau eine ehrenvolle und auch identitätsstiftende Aufgabe.

DIE KATHOLISCHE THEOLOGIE SPIELT EINE KLEINE, ABER FEINE ROLLE

Diese lange Zeit besteht hauptsächlich aus der katholischen Theologie, die ja heute kaum noch eine Rolle spielt. Wann hat dieser Wandel eingesetzt und was von diesem Erbe trägt die heutige Lehre noch in sich? Ist mit der Beilegung des Streits um das alte Logo (Madonnenstreit) die kritische Auseinandersetzung damit beendet?
In meinen mehr als 18 Jahren an der Universität Passau ist mir der Streit kein einziges Mal „in Echtzeit“ begegnet. Man nimmt ihn heute nur mehr aus den Archiven und anekdotisch wahr. Die Katholische Theologie spielt eine kleine, aber feine Rolle im Konzert der akademischen Fächer an der Universität Passau. Ihrem Impuls vor allem ist es zu verdanken, dass die Universität das 400jährige Jubiläum reflektierte und in Beziehung zu ihrer eigenen Geschichte setzte. Wenngleich die Katholische Theologie als Fakultät seit gut zehn Jahren ruhend gestellt ist, kommt ihr als Department eine wichtige Vermittlungsfunktion im Fächerkanon nach innen und im Kontakt mit der Kirche und ihrer vielfältigen Organisationsstruktur nach außen zu. Das Fach hat im übrigen den Generationenwechsel sehr gut gemeistert, präsentiert sich in jungem, weltzugewandtem Zuschnitt und verfügt mit dem Masterstudiengang „Caritaswissenschaft und werteorientiertes Management“ auch über ein erfolgreiches, zukunftsorientiertes und international nachgefragtes Aushängeschild.

MIT POPULISTISCHEN PAROLEN IST NICHT GEDIENT

Wie sehen Sie die Rolle der akademischen Bildung im heutigen Canon in Passau und wohin steuert sie?
„Akademische Bildung“ scheint mit Werten verbunden zu sein, die mit der zutiefst verunsicherten Gesellschaft der Gegenwart und ihren sozialen Medien nur schwer in Einklang zu bringen sind: die unvoreingenommene Suche nach Wahrheit, das bedingungslose Interesse für andere Positionen und der ehrliche Austausch von Argumenten. Vor dem Hintergrund einer oft unkritisch praktizierten Digitalisierung und einer sich stets beschleunigenden Welt wirken diese Ideale ein wenig aus der Zeit gefallen. Doch die drängenden Krisen von heute bedürfen mehr denn je einer fundierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung, der mit stereotypen Standpunkten und populistischen Parolen nicht gedient ist. Die Universität Passau sehe ich hier gut aufgestellt: Sie bietet Raum für akademischen Diskurs, der nicht um seiner selbst willen stattfindet, sondern unmittelbar im Kontext der großen Herausforderungen der Zukunft zu sehen ist. Man blicke nur auf den Stellenwert der Nachhaltigkeit oder die Wiedergeburt von Europa im Zuge der veränderten geopolitischen Großwetterlage.

HOCHWASSER 2013 HAT DIE STUDIERENDEN UND DIE BÜRGER ZUSAMMENGESCHWEISST

Die Universität war lange ein Fremdkörper in der Stadt. Ist dieses „fremdeln“ der Bevölkerung mit „ihrer“ Universität vorüber?
Die Hochwasserkatastrophe von 2013 hat die Universität und ihre Studierenden mit der Stadtbevölkerung aufs engste, gleichsam zu einer Schicksalsgemeinschaft, miteinander verknüpft. Ich denke, dass die Studierenden spätestens seit diesem Zeitpunkt als junge Menschen wahrgenommen werden, die initiativ, kreativ und anpackend Probleme lösen können und sich nicht zu schade sind, dafür sozusagen in den Schlamm zu gehen. Die Erinnerung daran wachzuhalten, ist zwar bei dem schnellen Durchsatz von Studierenden im Zeitraum von drei bis vier Jahren nicht ganz einfach – aber ich denke schon, dass die Flut 2013 die Gewissheit gebracht hat, dass auf die Studierenden Verlass ist. In ähnlicher Weise hat sich das bürgerschaftliche Engagement der Studierenden für allgemeine Belange ja auch im Gefolge der Flüchtlingskrise 2015 gezeigt, so wie es sich sofort seit dem 24. Februar 2022 für die Ukrainehilfe Bahn gebrochen hat.

Es gibt bis zum Jahresende eine ganze Reihe von Veranstaltungen, auf die in der Juni-Ausgabe (und online) genauer eingegangen wird. Welche der Veranstaltungen liegt Ihnen besonders am Herzen?
Wenn ich ehrlich sein darf – zu den Veranstaltungen, welche die Nachhaltigkeit an unserer Universität befördern sollen, verspüre ich die größte Dringlichkeit. Da ist einmal der „Tag der Nachhaltigkeit“ am 20. Oktober 2022 zu nennen, an dem wir an der Universität den Nachhaltigkeits-Hub offiziell eröffnen wollen, der für Forschung, Lehre und nachhaltigen Betrieb am Campus eine strukturelle Einheit bilden und allen interessierten Kolleg:innen offenstehen soll. Dass auch der höchste akademische „Feiertag“ des Jahres, der „Dies academicus“, am 11. November 2022 unter die Thematik der Nachhaltigkeit gestellt wird, mit dem verdienten Festreferenten und Verfechter einer gerechteren Welt, Prof. Dr. Klaus Töpfer, an der Spitze, freut mich persönlich ganz besonders.

STARKE IDENTIFIKATION MIT DER UNIVERSITÄT PASSAU IST ETWAS BESONDERES

Als Geographieprofessor liegt Ihnen der regionale Bezug des Bildungs- und Forschungsstandortes sehr nahe. Wo steht Passau im Bezugsrahmen mit Linz, Budweis, Regensburg und München?
Die Universität Passau ist angesichts ihrer Größe erstaunlich gut positioniert – selbst im direkten Vergleich mit größeren und wesentlich einflussreicheren Standorten. Wir bekommen das einerseits immer wieder in den einschlägigen Rankings gespiegelt, es drückt sich andererseits aber auch in den positiven berufsbezogenen Rückmeldungen vieler Alumni aus, die der Universität über Jahre und Jahrzehnte hinaus verbunden bleiben. Die Universität verfügt über mehrere große Alumni-Netzwerke, die sich bundesweit, ja sogar international durchaus sehen lassen können. Man fragt sich durchaus, wie eine kleine Universität in einer kleinen Stadt mit 50.000 Einwohnern dazu überhaupt in der Lage ist. Ich denke, die besondere Identifikation des gesamten Personals, angefangen von den Professor:innen über die Mitarbeiter:innen bis zu den Studierenden, ja der Alumni und der Passauer und Passauerinnen insgesamt mit „ihrer“ Universität ist in gewisser Weise schon etwas Einmaliges, das zu diesem Erfolg beigetragen hat.

Zum Schluss sind wir besonders gespannt, was Sie auch als Präsident der Geographischen Gesellschaft auf unsere Flussfrage antworten: Mit welchem Fluss können Sie sich besonders identifizieren?
Im letzten Interview, meine ich, habe ich den Inn angegeben, weil er mich gewissermaßen kulturell mit den Alpen verbindet und mir assoziativ Räume eröffnet, die mir seit meiner Kindheit eng vertraut sind. Aber natürlich müsste man aus gesamteuropäischer Perspektive und als überzeugter Europäer zuerst die Donau nennen, die Europa im Gegensatz zu vielen anderen Strömen von West nach Ost durchfließt und auf ihrem Wege Menschen, deren Geographien und deren Geschichten miteinander verbindet, über alle politischen Grenzen und Barrieren hinweg: ein wahrhaft europäischer Fluss! Der Inn bleibt für mich regionales Sinnbild für das Hochgebirge in der Mitte Europas, in dem sich die drei großen sprachlich-kulturellen Gruppen treffen. Doch auch die Ilz ist nicht zu vernachlässigen, sie steht für Passaus lokale Verflechtungen mit dem Bayerischen und dem Böhmerwald. Sie sehen – es fällt mir schwer, mich auf einen Fluss festzulegen.


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