INNSIDE Innterview: Reinhard Mader

794 STELEN FÜR 794 ERMORDETE KZ-HÄFTLINGE

4.3.2020


Es war das schlimmste Nazi-Verbrechen in Niederbayern. Über 5000 KZ-Häftlinge aus dem KZ Buchenwald

sollten im April 1945 ursprünglich in das KZ Flossenbürg verbracht werden.

Über Umwege hielt der Zug letztlich in Nammering, wo er 5 Tage lang stand. Beinahe 800 Häftlinge

wurden hier ermordet. 75 Jahre ist dieses unfassbare Kriegsverbrechen mittlerweile her

und lediglich zwei kleine Gedenkstätten in Nammering erinnern an die Toten.

Zu wenig für den Tittlinger Bildhauer Reinhard Mader, der ein besonderes Mahnmal plante.

INNSIDE hatte Gelegenheit, mit dem Künstler über sein Projekt und dessen Ende zu sprechen.


Die Fragen stellte Kathrin Schubert

Fotos u. Visualisierung: Georg Thuringer


Zum Gedenken an dieses brutale Verbrechen hattest Du für Nammering eine besondere Gedenkstätte geplant. Zunächst einmal, was hat Dich dazu bewogen?
In Nammering kamen 794 Häftlinge ums Leben. Es gibt zwar zwei kleine Gedenkstätten, aber die waren und sind für mich nicht akzeptabel. Mir war es ein Anliegen, dass dieses Verbrechen, das größte Kriegsverbrechen Niederbayerns, ein angemessenes Denkmal erhält.

Wie sollte Deine Gedenkstätte aussehen? Und wie ging es
weiter?
Mir war es wichtig, diese unvorstellbare Zahl von 794 Ermordeten darzustellen, sichtbar zu machen. Daher wollte ich 794 individuell gefertigte Stelen aus Granit, jeweils versehen mit einem Paar Glasaugen, aufstellen. Die Stelen waren auf eine Größe zwischen 1,60 m und 2 m angedacht. Also ungefähr Menschengröße. Aufgestellt werden sollten sie dann am ehemaligen Bahnhof von Nammering, also genau an dem Ort, an dem das Verbrechen geschah. Mit dieser Idee bin ich zum Bürgermeister der Gemeinde Fürstenstein, Stephan Gawlik, gegangen. Dem hat dieses Konzept spontan gefallen.

Der Bürgermeister alleine reicht ja nicht. Gab es einen Gemeinderatsbeschluss für Deine Gestaltung?
Es gab einen Gemeinderatsbeschluss. Mit 2/3 Mehrheit wurde beschlossen, dass Mittel vom Bund beantragt werden sollen.

Granitstelen wären ja auch ein Bindeglied zwischen den
Orten Nammering und dem ursprünglichen Transportziel
Flossenbürg gewesen…
Ja. In Flossenbürg sollten die KZ-Häftlinge in einem Granitsteinbruch arbeiten.

794 Granit-Stelen, ein solches Vorhaben erfordert erhebliche
Finanzmittel, die eine kleine Gemeinde allein gar nicht stemmen kann. Wie hoch schätzt Du die Kosten und wie sollte das Projekt letztlich finanziert werden?
Anfänglich hatten wir einen Finanzbedarf von ca. 250 000 Euro
errechnet, haben dann aber nochmal ein bisschen optimiert und
sind bei 180 000 Euro gelandet. Aufgrund dieser hohen Kosten
haben wir überlegt, wie das Projekt finanziert werden kann. Wir holten uns Frau Gabriele Bergmann von ILE (Integrierte Ländliche
Entwicklung) Passauer Oberland mit ins Boot. Sie hat eine
Vielzahl von Anträgen gestellt und die gesamte Schreibarbeit
erledigt. Unter anderem wurde ein Antrag beim Amt für Ländliche Entwicklung gestellt. Schreiben gingen hin und her. Bis wir schließlich einen positiven Bescheid erhalten haben, sind ca.
eineinhalb bis zwei Jahre vergangen.

Gab es weitere Geldgeber?
Ja, die Diözese Passau hatte spontan 10 000 Euro zugesagt, der
Landkreis wollte sich mit etwa der gleichen Summe beteiligen.
Weitere Geldmittel wären auch vom Land Bayern und dem Bezirk
Niederbayern gekommen – wir hätten von vielen Seiten Zuschüsse bekommen. Eine Unterstützerin des Projektes war auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Halo Seibold, sowie viele andere.

Das Geld ist die eine Sache. Aber 794 Stelen fertigen, für einen
Künstler allein doch ein Unding. Da ist doch auch handwerkliche
Unterstützung gefragt. Wie sollte die aussehen?
Die Fachschule für Steintechnik (Meisterschule für das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk) München hätte sich massiv an der Arbeit beteiligt. Dazu wären eine Meister- und Lehrlingsklasse gekommen, um hier in Nammering mitzuarbeiten. Auch das war bereits vereinbart. Eine tolle Sache. Somit wären auch junge Menschen in das Projekt mit eingebunden gewesen.

Ein Mahnmal dieser Größenordnung in einer kleinen Gemeinde
wie Nammering hätte sicher auch überregional Bedeutung erlangt. War außer den Stelen auch ein Begleitprogramm
geplant?
Das Projekt war auf zwei Jahre angelegt. In dieser Zeit hätten
Konzerte und Lesungen stattfinden sollen, aber auch Künstlersymposien mit internationalen Künstlern, die im Rahmen dieser Symposien Stelen für das Mahnmal gefertigt hätten.

Trotz stehender Finanzierung kam es in der Bevölkerung zu
erheblichem Widerstand gegen dieses Mahnmal und diese
Gedenkstätte wird, zumindest momentan, nicht entstehen.
Wie kam es dazu?
Es gab eine Bürgerversammlung in Fürstenstein, bei der der Bürgermeister massiv angegriffen wurde. Wäre ich persönlich
angegriffen worden, hätte ich kein Problem damit. Aber dass Andere für meine Ideen angegriffen werden, das will ich nicht. So
habe ich das Projekt zurückgezogen.

War letztlich eine Bürgerversammlung dafür ausschlaggebend?
Die Situation hat sich immer mehr zugespitzt. Verschiedene Bürger der Gemeinde haben den Bürgermeister aufgesucht, um zu bekunden, dass sie gegen die Gedenkstätte seien. Die Bürgerversammlung war der Schlusspunkt dieser Debatte.

Welche Argumente haben die Gegner denn vorgebracht?
Ein Argument war natürlich die finanzielle Seite. Man solle mit
diesem Geld lieber Straßen teeren. Mir warf man vor, ich wolle
das Projekt nur wegen des Honorars durchführen. Um den
Leuten den Wind aus den Segeln zu nehmen, hätte ich auch
ohne Honorar gearbeitet. Ein anderes Argument war, dass die
Kinder sich wegen der Glasaugen fürchten würden. Dabei gehen
sie jeden Sonntag in die Kirche und schauen sich eine Hinrichtung an, bei der ein Mensch ans Kreuz genagelt worden ist. Das macht den Kindern gar nichts aus. Bei so einem Mahnmal
gehört die Gänsehaut dazu. Ich kann ja nicht 794 liebliche Engerl
hinstellen, das wird dem Verbrechen nicht gerecht. Stelen ohne Augen gehen für mich aber auch nicht. So ein Denkmal muss Gänsehaut verursachen. Bei dieser Masse hätten die Stelen schon von Weitem Gänsehaut verursacht. Eigentlich wurden immer die gleichen, haltlosen Argumente vorgebracht.

Manche Bürger haben die Stelen als „Monstersäulen“ betitelt. Wie fühlt man sich, wenn man so etwas liest? Überwiegt die Wut über soviel Ignoranz?
Den Begrff finde ich furchtbar. Letztlich kam er durch einen
Artikel in der PNP auf. Immerhin haben 2/3 des Gemeinderates
für die Beantragung von Mitteln für diese Gedenkstätte
gestimmt. Warum dann „Monstersäulen“?

Es gab ja auch diesen umstrittenen Post eines AfD Abgeordneten,
dass man die Geschichte auch mal ruhen lassen muss. Glaubst Du, dass die Menschen sich ungern mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen möchten?
Na ja, manche haben angegeben, sie fürchten, es käme dort zu
rechtsextremen Aufmärschen. Aber warum sollten da Aufmärsche sein? Eher vielleicht Schulklassen.
Es ist bekannt, dass Nammering eine AfD Hochburg ist. Deswegen wird der Abgeordnete Stadler den Gegnern des Mahnmals zu ihrem großen Erfolg gratuliert haben.

Ausblick in die Zukunft: Du hast viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt. Ist diese Gedenkstätte für Dich schon ganz gestorben?
Nein. Aber über die Zukunft und eventuelle Möglichkeiten
möchte ich hier zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts preisgeben.

Auch Dir wollen wir natürlich am Schluss unsere Flussfrage stellen. Gibt es einen Fluss, der für Dich eine besondere Bedeutung hat?
Ja. Das ist natürlich seit meiner Kindheit die Ilz, die durch
das Gemeindegebiet meiner Heimatgemeinde Tittling fließt. Auch über diese Gemeinde gäbe es viel zu berichten, aber das ist wieder ein anderes Thema.

WIR DANKEN DIR FÜR DAS GESPRÄCH!


GESTALTUNGSVORSCHLAG GEDENKSTÄTTE NAMMERING – 794 STELEN


HINTERGRUND
Beginnend am 20. April 1945 hatte der sogenannte Todeszug von Buchenwald – eine von der SS durchgeführte „Evakuierungsmaßnahme” aus dem KZ Buchenwald mit dem ursprünglichen Ziel KZ Flossenbürg, später KZ Dachau – mehrtägigen Aufenthalt auf dem Bahnhof Nammering. Der Zug mit 4480 Häftlingen war bereits seit dem 7. April unterwegs. Die Reisedauer war auf nur 24 Stunden kalkuliert, entsprechend katastrophal war jetzt, nach 13 Tagen, die Versorgungslage der in Güterwaggons zusammengepferchten Häftlinge. Wie viele von ihnen bei der Ankunft in Nammering bereits verhungert waren ist nicht bekannt.
Mehrere hundert Häftlinge wurden in einem nahen Steinbruch erschossen mit der Begründung, sie seien vor Hunger wahnsinnig geworden und hätten SS-Wachen angefallen. Bei Nammering wurden insgesamt 794 dieser Toten in Massengräbern gefunden. Die derzeitige Ausgestaltung des Gedenkorts entspricht in keiner Weise der humanitären Dimension des hier verübten Verbrechens.

AUSFÜHRUNG
794 individuell aus Granit gefertigte Stelen sollen nun sowohl die hohe Zahl, als auch die jeweils individuelle Persönlichkeit der Ermordeten sinnfällig machen. In den Stein eingesetzte Glasaugen betonen den anthropomorphen Charakter der Stelen und wecken vielfältige Assoziationen in Bezug auf Unmenschlichkeit und Menschlichkeit im weitesten Sinne.

REINHARD MADER
1959 in Englburg Lkr. Passau geboren
1975 Ausbildung zum Bildhauer bei Karl Mader (Vater)
1979 Steinmetz- und Steinbildhauerlehre Dombauhütte Passau
1980/03 zahlreiche Großplastiken mit Karl Mader
– Organisator und Teilnehmer zahlreicher Bildhauersymposien im In- und Ausland
– Arbeiten von Reinhard Mader befi nden sich von der Nordsee bis zur Zugspitze und in weiteren 5 Nationen im öffentlichen Raum.