INNSIDE Innterview: Anna Rosmus

EIN GROSSER TEIL DES LANDES GLEICHT EINEM PULVERFASS

27.11.2020


Ihre Geschichte fing in den Siebzigern mit einem Preis für einen Aufsatz über die Vergangenheit ihrer

Heimatstadt Passau in der Nazizeit an und führte sie bis ins Weiße Haus in die USA. Viele renommierte Preise und

Ehrungen, unter anderem die Totenmaske von Kurt Tucholsky und der Geschwister Scholl Preis, machten sie zu

einer Berühmtheit. Nicht immer unumstritten, aber immer respektiert für ihre antirassistische Haltung.

Einige Innterviews in unserem Magazin ließen uns immer in Kontakt bleiben. Anlässlich der

besorgniserregenden Entwicklungen in den USA baten wir die Autorin und Amerikakennerin um ein Innterview.


Die Fragen stellte Gerd Jakobi
Fotos: privat


Du lebst jetzt schon 26 Jahre in den USA. Wie hast du die letzten Jahre dort erlebt, was die politische Situation angeht?
Dadurch, dass US-Medien wie die Washington Post seit 1985 immer wieder (an prominenter Stelle wie auch zu politisch relevanten Daten) über meine Arbeit berichtet haben, war ich schnell bekannt wie “ein bunter Hund”. 1990 begannen dann auch Zeitungen wie die New York Times, politische … Kommentare von mir anzufordern.
Die ersten acht Jahre nach meinem Umzug habe ich in Silver Spring gelebt. Die 16. Straße (an der U-Bahn-Station) führte direkt zum Weißen Haus. Seit 1994 war ich mehrfach dort; erstmals zu einer ganz privaten Führung, wenig später zu einer Weihnachtsfeier für Mitarbeiter. Nachdem George W. Busch Präsident wurde, war ich auch zu Bällen und anderen Veranstaltungen eingeladen, in aller Regel wegen meiner Arbeit mit US-Veteranen, die am 2. Weltkrieg teilnahmen.
Dazu kam, dass mich verschiedene Botschaften und politische Stiftungen, auch aus Deutschland, immer wieder zu Diskussionen geholt haben. Bei solchen Gelegenheiten habe ich z.B. Joschka Fischer getroffen, Gerhard Schröder, ehe er Kanzler wurde, und Angela Merkel, kurz nachdem sie Kanzlerin wurde. Ich habe an Symposien über Rechtsextreme teilgenommen, wir haben Korea … diskutiert. Das war intellektuell ebenso interessant wie wohl auch elitär.

„Seit etwa einem Jahrzehnt schwellen rechtsgerichtete Stimmen immer weiter an“

Bei Veranstaltungen, die mich nun schon 30 Jahre lang immer wieder kreuz und quer durch die USA führen, lernte ich zunehmend auch ganz andere Aspekte kennen; sei dies eine verheerende Armut, nicht nur in West Virginia, Spuren einer noch immer nicht beseitigten “Rassentrennung”, weit über die Südstaaten hinaus, eine immer noch weiter um sich greifende Drogenszene, oder eine ausufernde Brutalität, unter ganz “normalen” Alltags-Bedingungen, wie auch bei eskalierenden, kriminellen Auseinandersetzungen.
Seit etwa einem Jahrzehnt schwellen vor allem “bodenständige”, rechtsgerichtete Stimmen immer weiter an. Nicht nur in Staaten wie Ohio und Tennessee dominiert dabei immer öfter das Bild von Bibel-haltenden, Gewehr-tragenden und Fahnen-schwingenden Hurrah-Patrioten. Einheimische, vor allem jene mit höherer Bildung, erzählen immer öfter von ihren Ängsten, in ihrer eigenen Nachbarschaft als “Demokraten” erkannt bzw. “denunziert” zu werden. Ein großer Teil des Landes gleicht einem Pulverfass. Schon das geringfügigste “Zündeln” kann zur gewalttätigen Explosion führen.

Man sagt hier immer, das Land ist tief gespalten, ist das wirklich so und was hat deiner Meinung nach dazu geführt?
Die Gesellschaft ist nahezu vollständig in zwei Teile gespalten, nicht nur politisch. “Weiße” einerseits, “Farbige” andererseits; Stadt einerseits, Land andererseits; ein Streben nach höherer Bildung einerseits, Bildungsfeindlichkeit andererseits; Wohlhabende einerseits und Habenichtse andererseits; Progressive, mit oft internationaler Erfahrung und Konservative (mit oft recht regionaler Erfahrung); Menschen, die nach mehr Offenheit und sozialer Gerechtigkeit suchen, und jene, die in allem “Sozialen” ihr altes Feindbild Sozialismus/Kommunismus zu erkennen glauben.
Ganz wesentlich dazu beigetragen hat vor allem die Geschichte der einstmals recht “offenen” USA: Wellen von Einwanderern, welche ihre eigenen Ideologien auf den früher dünn besiedelten Kontinent mitbrachten, und diese hier recht ungeniert, bisweilen auch militant, weiterleben. Um nur zwei Beispiele aus dem Alltag zu nennen:

Ausbeutung wird von nicht Wenigen mit Klugheit gleichgesetzt

Erstens: Religiöse Minderheiten wie Mennoniten und Amische lehnen traditionell eine höhere Schulbildung ab. Aus ihrer Sicht ist dies auch eine Bescheidenheit vor Gott. Aus Sicht vieler Erzieher und Politiker verursacht fehlende Bildung allerdings ein Manko an selbständigem, kritischem Denken. Religiöse Fundamentalisten (konzentriert vor allem in den Südstaaten) haben schon vor Jahrzehnten – relativ erfolgreich – gefordert, dass (auch an staatlichen Schulen) in Erdkunde, Biologie …. nichts gelehrt werden darf, was der Bibel widerspricht. (Dem Erschaffen der Erde in nur 6 Tagen “widerspricht” ihrer Ansicht nach z.B. die Millionen Jahre dauernde Evolution.) Wenn Fakten über Generationen hinweg gar nicht erst unterrichtet werden, fehlt diesen verständlicherweise nicht nur objektives Wissen, sondern meistens auch eine Wertschätzung objektiver Daten. Der Stellenwert von Wissenschaft wird in solchen Milieus ebenso angezweifelt wie deren “Gültigkeit”.
Zweitens: Kapitalismus in den USA wird, oft noch immer, recht radikal betrieben. Ausbeutung wird von nicht Wenigen mit Klugheit gleichgesetzt. Eine weitverbreitete Ansicht ist, dass Arbeitgeber Rechte haben, nicht Arbeitnehmer. Dass eine fehlende, oder nicht ausreichende Krankenversicherung, Hunderttausende in den Bankrott treibt, wird als deren Problem gesehen. Dass eine adäquate Versicherung in vielen Fällen erst gar nicht angeboten ist, wird häufig mit einem leichten Schulterzucken abgetan.

Trump selber spielt ganz absichtlich mit diesem Feuer

Glaubst du als bekannte und überzeugte Antifaschistin, dass die Demokratie in den USA durch die Trumpisten gefährdet ist?
Leider ist das tatsächlich so. Trump selber spielt ganz absichtlich mit diesem Feuer, and Millionen seiner Fans lassen sich nur allzu gerne “anstecken”. Lügen und Manipulationen aller Art scheinen Trump generell nicht arg schwer zu fallen. Seit Rechtsextreme ihn 2016 ganz demonstrativ mit ins Weiße Haus gewählt haben, kommuniziert er mit diesen ebenso öffentlich wie süffisant. Was z.B. bei einer von Hillary Clinton’s Wahlkampfveranstaltungen mit lauten “Pepe”-Rufen begann, führte mittlerweile zu Trumps recht ungenierter Forderung: “Stand down, and stand by!” Nachdem Gretchen Whitmer, Governor von Michigan, ihm die Stirn bot, wurde nicht nur deren Kidnapping geplant, sondern zehn Tage nach dessen Scheitern grölten Massen: “Lock her up! Lock her up!”

Neuerdings ziehen, auch hier, SA-ähnliche Mobs durch die Straßen

Trump grinste und machte munter mit! Dass er seit Monaten – noch dazu ohne jeglichen objektiven Anhaltspunkt – die Gültigkeit der letzten Wahlen in Frage stellt bzw. regelrecht bestreitet, bringt eine neue Dimension ins “Spiel”. Neuerdings ziehen (auch hier) SA-ähnliche Mobs durch die Straßen, oft in Konvois paramilitärisch bemalter Vans und Pick-up Trucks, auf denen “bis an die Zähne” bewaffnete Männer neben fest montierten Trump- und US-Fahnen Parolen wie “Stop the Steal!” von sich geben.

Siehst Du die Gefahr eines Coups durch die Trumpadministration?
Wenn diese auch nur die geringste Chance bekäme, durchaus. Spekulationen und gezielt gestreute Gerüchte werden seit Wochen immer noch wilder. Die Eile, mit der die jüngste Konservative ans Verfassungsgericht gehievt wurde, beunruhigte nicht Wenige. Die Weigerung, einen Übergang zur Biden-Regierung offiziell zu beginnen, und Äußerungen wie die von Mike Pence, seine Regierung bleibe “weitere vier Jahre im Amt”, irritieren Weitere. Verteidigungsminister Esper, der US-Militär nicht gegen US-Staatsbürger im eigenen Land einsetzen wollte, wurde entlassen. Nachdem innerhalb weniger Stunden weitere Pentagon-Funktionäre mit Männern, ersetzt wurden, die als Trump-Loyalisten gelten, sahen sich andere Militär-Repräsentanten genötigt, öffentlich klarzustellen, dass US-Soldaten nicht auf einen Präsidenten vereidigt werden, sondern auf die Verfassung.

…Rhetorik, die mich krass an anno dazumal erinnert

Wie fühlst du dich als Deutsche, wenn du diese Situation erlebst?
Vieles erinnert mich an die Weimarer Republik und an die NS-Zeit. Vernunft und faktisches Verständnis fehlen auch hier leider generell Vielen. Dazu kommen eine gezielte Taktik und Rhetorik, die mich krass an anno dazumal erinnern. Als Trump-Fans z.B. mit mehreren Dutzend Fahrzeugen den Wahlkampf-Bus von Joe Biden in Texas so aggressiv umringten, dass dieser nahezu von der Straße abgedrängt wurde und ein Notruf sowohl die Polizei wie auch das FBI auf den Plan rief, meinte der Präsident öffentlich, diese “Patrioten” hätten nichts falsch gemacht. Sie hätten den Bus nur “geschützt”. Da lassen Joseph Goebbels, Heinrich Himmler und Adolf Hitler grüßen! Ab 1933 kamen Juden, Sozialisten und andere Opponenten in “Schutzhaft”. 1934 kam die “Nacht der langen Messer”, und – nicht nur – in der “Reichskristallnacht” wurde dem “Volkszorn” fast uneingeschränkt freier Lauf gelassen.

Auch an dich noch einmal die INNSIDE Frage: Gibt es einen Fluss in deinem Leben, mit dem du dich identifizieren kannst?
Nach wie vor die DONAU, ein relativ ruhiger Strom, der beständig weiter fließt, mehr beeinflussend als selbst beeinflusst zu werden.

Wir danken dir für das Gespräch.



AUSZEICHNUNGEN:

1984: Geschwister-Scholl-Preis
1992: Holocaust Memorial Award
1994: Conscience in Media Award der American Society of Journalists and Authors
1996: Heinz-Galinski-Preis
1994: Sarnat-Preis der Anti-Defamation League
1999: Immigrant Achievement Award

VITA

Anna Rosmus wurde 1960 als Tochter des katholischen Schulleiters Georg Rosmus und einer Religionslehrerin in Passau geboren. Anlässlich eines Aufsatzwettbewerbs (Alltag im Nationalsozialismus. Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg) befasste sich Rosmus 1980 als 20-jährige Abiturientin mit der Rolle Passaus im Dritten Reich sowie mit dem Schicksal der Passauer Juden. Sie habe, wie sie 2015 schrieb, nach Akten von aktivem und passivem Widerstand gesucht und dabei Belege systematischer Gleichschaltung und radikaler Ausschaltung gefunden.
Bei ihren Nachforschungen stieß sie auf einige Widerstände. Drei Jahre lang wurde ihr der Zugang zum Stadtarchiv Passau verweigert, bis sie sich die Akteneinsicht vor Gericht erstritt. Dabei kam zum Vorschein, dass zahlreiche führende Passauer Persönlichkeiten aktive Nationalsozialisten waren, was jedoch in anderen deutschen Städten wenig anders war. Die Ergebnisse ihrer Recherchen fasste Rosmus 1983 in ihrem Buch Widerstand und Verfolgung am Beispiel Passaus 1933-1939 zusammen.
Ihre intensiven Nachforschungen führten zu heftigen Anfeindungen vieler Passauer, zu Telefonterror, Entführungs- und Morddrohungen. Die „Nestbeschmutzerin“, wie Rosmus mittlerweile auch genannt wurde, stand zeitweise sogar unter Polizeischutz. All dies veranlasste Rosmus dazu, Passau im August 1994 zu verlassen und in die USA zu emigrieren. Dort lebt sie heute nahe Chesapeake Bay in Maryland. Seit ihren schriftstellerischen Anfängen in Passau konzentriert Rosmus ihre Forschungsarbeit auf die Zeit des Nationalsozialismus. Sie hat mehrere Bücher und zahlreiche Veröffentlichungen für wissenschaftliche Institutionen, Zeitschriften und Zeitungen publiziert.
(Quelle: Wikipedia)