INNSIDE INNTERVIEW: Fr. Florian Wobser

Planetarisches Denken im Alltag

PASSAU | 5. JUNI 2023

Die Philosophen der Universität Passau, Prof. Dr. Thies und Dr. Florian Wobser, haben namhafte Kollegen zu einer hochaktuellen, öffentlichen Vortragsreihe eingeladen. Wir haben mit Dr. Florian Wobser, dem verantwortlichen Organisator der Vortragsreihe, darüber gesprochen, worum es dabei geht und was die interessierten Besucher erwartet.

Die Fragen stellte Gerd Jakobi | Fotos: Claudia Saller
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Herr Dr. Wobser, Sie organisieren gerade eine Vortragsreihe an der Uni Passau zum Thema „Anthropozän”. Was ist genau darunter zu verstehen? Welche Vorträge erwarten uns noch?
Üblicherweise wird mit dem Begriff „Anthropozän“ die Hypothese gefasst, dass die Gattung Mensch auf der Erde so wirkmächtig geworden sei, dass die neue planetarische Phase als ein „Menschenerdzeitalter“ begriffen werden sollte. Ganz aktuell entscheidet dazu eine Gruppe geologischer Expert*innen, ob diese Annahme tatsächlich naturwissenschaftlich haltbar ist und als eine offizielle Bezeichnung anerkannt werden sollte.
Wirkmächtig ist der Mensch auf oft problematische Weise in ökologischer Hinsicht, sodass zu Beginn der Vorlesung weite Fragen der Mensch-Natur-Beziehung, Nachhaltigkeit und fossilen Energie im Zentrum standen. Ab Juni wird noch eine soziologische und medienkultur-wissenschaftliche Perspektive auf den Problemzusammenhang ergänzt und mittels drei Vorträgen die Frage diskutiert, wie die Theorie und Praxis der Bildung auf die These des Anthropozäns reagieren sollte.
Notwendig ist eine philosophische und ethische Allgemeinbildung, die auch für andere Disziplinen bzw. Fächer relevant ist – wie ist diese zu begründen und zu gestalten?

NEUE KLIMAETHIK

Das „Zeitalter des Menschen“ ist augenblicklich ja nicht gerade von Optimismus geprägt. Geben Sie als Philosoph uns hier vielleicht Hinweise darauf, wie die Gesellschaft aus den selbstgemachten Krisen herausfinden kann?
Wie so vieles ist der Theorie-Praxis-Unterschied komplex und philosophisch tendiert man eher zur Theorie. Insofern geht es in dieser Vorlesung nicht um Handlungsanweisungen, sondern um einen Reflexionsraum, der vielleicht auch das Handeln verändert. In der noch neuen Klimaethik, die ein Integral der Problematisierung des Anthropozäns ist, wird dieses Spannungsfeld selbst kritisch erörtert – als das sogenannte „Motivationsproblem“. Wie ist das oft abstrakte und komplexe „planetarische“ Denken auf den Alltag zu beziehen? Explizit oder implizit sind wir alle jeden Tag in zahlreichen Entscheidungen mit dieser Frage konfrontiert.

BILDUNG IST EINE DER ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN

Welche Vorträge sind für Sie besonders wichtig, oder welche Themen halten Sie persönlich für besonders relevant rund um das Anthropozän?
Natürlich sind alle Vorträge wichtig, zumal man dem komplexen Phänomen „Anthropozän“ nur aus vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven gerecht werden kann. So freuen wir uns z.B., dass wir mit Josef H. Reichholf einen der populärsten Biologen für einen Vortrag gewinnen konnten. Als Evolutionsbiologe warf er Ende Mai zahlreiche kontroverse Fragen auf! Mir persönlich sind didaktisch reflektierte Bildungsbemühungen sehr wichtig, zumal mit ihnen eine Zukunftsperspektive aufscheint – die neue Generation darf nicht nur nicht von der älteren im Stich gelassen werden, sondern benötigt auch neue Mittel, um alte Fehler nicht zu wiederholen.

ROLLE DER KI KURZFRISTIGER HYPE

Gerade ist die KI in aller Munde. Spielt das Thema bei der Diskussion um die Frage, wie es mit dem Menschen weiter geht, eine Rolle? Oder provokant gefragt: Stehen die Roboter schon als unsere Nachfolger in den Startlöchern?
Wenn man – bei aller Relevanz – den aktuellen Hype um u.a. ChatGPT (dazu gibt es auch eine weitere Ringvorlesung an der Universität in diesem Semester) zum Maßstab macht, könnte man das zwar denken. Ob die Entwicklung der KI zur Utopie oder zur Dystopie neigt, wird sich jedoch wohl erst langfristig zeigen. Für langfristige Perspektiven auf das Geschehen auf der Erde, sei es menschlich oder technologisch bestimmt, ist die Debatte um das Anthropozän eine gute Lehrmeisterin – denn mit der Erdgeschichte sind sehr weite Zeiträume verbunden, die über jeden kurzfristigen Hype erhaben sind.

ENORME KOMPLEXITÄT

Wie sehen Sie die Rolle der Wissenschaftler insgesamt bei der Beantwortung der großen Fragen der Menschheit? Können Sie hier wirklich entscheidende Impulse geben oder ist auch hier eine Ratlosigkeit angesichts der enormen Probleme zu spüren?
Das Theorie-Praxis-Problem (s.o.) gilt letztlich auch für die Wissenschaften. Diese sind nicht nur für zahlreiche Erfindungen mit ambivalenten Folgen verantwortlich, sondern auch für die enorm zunehmende Komplexität des Wissens. Hierzu hat der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn zuletzt ein wichtiges Buch geschrieben, zu der Frage, wie man evolutionär begriffenes, sich konsequent ausdifferenzierendes Wissen wieder problemorientiert so bündeln könnte, dass eine gemeinsame Antwort auf die Probleme des Anthropozäns ermöglicht würde. So gilt das methodische Ziel, dass die Wissenschaften einen besseren Umgang mit ihrem eigenen Produkt, der enormen Komplexität, pflegen sollten. Ein Ziel, das auch für die Frage nach der KI äußerst relevant ist.

RINGVORLESUNG FÜR ALLE INTERESSIERTEN

Wie zufrieden sind Sie mit dem Verlauf Ihrer wirklich interessanten Vorlesungsreihe?
Dazu gäbe es im Detail viel zu sagen und abzuwägen. Im Allgemeinen gilt aber, dass Herr Prof. Thies und ich von Anfang an auch ein nicht-universitäres Publikum in den Reflexionsraum der Vorlesung einladen wollten. Die Einladung wurde durchaus auch angenommen, was uns sehr freut – hoffentlich macht dieses Gespräch aber noch mehr Menschen Lust darauf, einmal im Hörsaal vorbeizuschauen.

Zum Schluss stellen wir natürlich auch Ihnen noch die INNSIDE-Frage: Mit welchem unserer drei Flüsse können Sie sich am ehesten identifizieren?
Puh! Das ist sehr schwierig. Hat man erst einmal den diskreten Charme des eher trüben „Abwasserkanals“ mit viel Verkehrslärm überwunden, als der die Ilz in die blaue Donau fließt, so wird man ab Hals bekanntermaßen mit einem Vorstadtidyll und einem Naturschutzgebiet belohnt, das direkt in den „Wald“ führt. Für mich als Zugezogener war es daher schon eine kleine Offenbarung, den Ilztalwanderweg zu entdecken. Da hat sich bei mir die ökologische Sensibilität entfaltet, die wir definitiv für das Anthropozän benötigen.


Kurzvita:

Dr. Florian Wobser lehrt und forscht zu den Schwerpunkten Didaktik/Bildung, Medien und Ökologie. In Passau arbeitet er seit April 2020. Zuvor studierte und promovierte er an der Universität Rostock und war einige Jahre im Berliner Schuldienst tätig. Philosophie sollte sich für ihn auch außerhalb von Schule (ein besonderes Anliegen ist ihm die Stärkung des Faches Ethik auch in Bayern) und Uni entfalten, d.h. u.a. an öffentlichen Orten im Rahmen der Passauer Bürger*inneninitiative „Wochen zur Demokratie", bei der er sich seit dem letzten Jahr engagiert.

Die weiteren Veranstaltungen der öffentlichen Ringvorlesung

06.06.2023 Prof. Dr. Anna HENKEL (Soziologie; Passau): Dilemmata der Nachhaltigkeit im Anthropozän

13.06.2023 Dr. Florian WOBSER (Philosophie; Passau): Mensch-Natur-Beziehungen im Anthropozän – Ideen für Bildung und Didaktik

20.06.2023 Prof. Dr. Philipp THOMAS (Philosophie; Weingarten): Was bedeutet es im Anthropozän, selbst Natur zu sein?

27.06.2023 Prof. Dr. Bettina BUSSMANN (Philosophie; Salzburg): Lebensweltlich-wissenschaftsorientiertes Philosophieren – Zumutungen und Notwendigkeiten einer zeitgemäßen Bildung (8)

04.07.2023 Dr. Dominik SCHREY (Medienkulturwissenschaft; Passau): Making Sense of Glaciers – Zur Vermessung einer schmelzenden Welt

Wann: 18:15 - 19:45 Uhr

Wo: Uni Passau Innstraße 25, Philosophicum (PHIL), HS 2